Wenn man die technologischen Gegebenheiten in Unternehmen anschaut, dann stellt man fest, dass sich im Laufe der Jahre ERP Systeme von Finanzverwaltungssystemen hin zu gesamtheitlichen, prozessunterstützenden Softwares entwickelt haben. Aufgrund der Evolution sieht die Systemlandschaft in der Regel so aus, dass es in der Vergangenheit für einige Systeme und Prozesse, die eine gesamtheitliche Lösung nur unzureichend oder nicht abgebildet haben, autarke Best-In-Class Lösung eingesetzt wurden. Diese wurden bestenfalls über eine Schnittstelle mit dem ERP System verbunden, so dass man eine einheitliche Auswertung von Key-Performance-Indikatoren sicherstellen konnte. Wo das nicht half, half Microsoft Office mit dem Excel-Tool.
Dies ist in der Vergangenheit zum Beispiel bei Produktions- und Logistiksystemen der Fall gewesen. Die Anbieter von speziellen Lösungen konnten das Spektrum von ERP Systemen komplementär ergänzen und hatten dadurch den Vorteil passgenaue Lösungen mit hohem Individualisierungsanteil für Kunden umzusetzen. Ergänzt um Spezialsoftware für die Qualitätsprüfung, sowie die Wartung und Instandhaltung konnte sich ein Kosmos von Inseln entwickeln, für die es jeweils (IT-)Experten braucht. Wo eine Schnittstelle sich nicht realisieren lies oder sich schlicht nicht rechnete, lieferte jeder Spezialanbieter aus der Box einen Export in ein kommaseparierendes Textformat (CSV) oder gleich eine tabellarische Form, die sich mit Excel öffnen und bearbeiten lies. Gleiches vollbrachten die ERP Anbieter, die ebenfalls die komplementären, kaufmännischen Daten in entsprechende Formate exportierbar machten. Was daraus langfristig geworden ist, kann man heute bei fast jeder Firma nachvollziehen. In der Produktion steht MES bei vielen heute noch für „Many Excel Sheets“ anstatt für Manufaction Execution System.
In den 90er Jahren waren Produktionsleiter die „Könige“ der Wertschöpfung in den Unternehmen und hatten so großen Einfluss auf die Funktionalität von Produktionsplanungssystemen. Die Datentechnik war noch nicht so ausgereift, dass sich Maschinen über Schnittstellen steuern ließen. Sie wurden recht aufwendig durch eigens programmierte SPS oder CNC Programme gesteuert. Mit der Zeit wurden die Schnittstellen intelligenter und konnten Daten exportieren. Aufgrund dessen konnten Analysen durchgeführt und Rückschlüsse auf Produktionsprozesse gezogen werden, die unternehmerische Entscheidungen unterstützten.
Elektrifizierung, Automatisierung und die Evolution der IT haben geholfen, dass wir heute von Industrie 4.0 sprechen und damit eine Vision verfolgen, die in vielen Teilen noch keine Realität ist. Wir haben fahrerlose Transportsysteme, automatische Hochregallager und intelligente Maschinen, die selbstständig Wartungsbedarfe und Fehlerzustände melden können und können diese durch offene Softwarearchitekturen unter den verschiedenen Inseln austauschen. Industrie 4.0 wird jedoch häufig als bidirektionale Kommunikation zwischen Mensch, Maschine und IT-Systemen ausgelegt, die in großen Teilen automatisiert abläuft. Da sind wir meiner Meinung nach noch bei Weitem nicht. Cloud bedeutet für viele einen großen Schritt in die Industrie 4.0 und das mag ob der großen, schwindelerregenden Datenmengen die prozessiert werden auch Stimmen. Vor dem Hintergrund der Funktionalität jedoch habe ich meine Zweifel, ob Cloud das Allheilmittel im B2B Bereich sein wird. Wo bleibt die kundenindividuelle Ausprägung eines IT Systems? Kann ich es mir wie im Privaten leisten auf Funktionalität in einer „coolen“ App zu verzichten und eine weitere App für die Unterstützung eines anderen (Teil-)Prozesses installieren? Schaffe ich dadurch nicht weitere Inseln und muss mich darauf verlassen, dass der App-Programmierer meine Bedürfnisse auch in Zukunft richtig einschätzt? Wie wäre es wünschenswert die Commodityprozesse für eine Branche oder einen Industriezweig aus einer Hand basierend auf einer einzigen Technologiebasis zu bekommen? Ich freue mich auf Eure Meinungen!